Das Weihnachtslicht (Christine Götter, 1992)

Eines Abends im Advent, es war irgendwann in den 90-iger Jahren,
beschloß das Christkind Weihnachten wieder einmal auf der Erde zu verbringen.
Es war lange nicht mehr dort gewesen. Der Weg zur Erde war weit und
beschwerlich und er wurde auch kaum mehr begangen, außer von ein
paar Engeln.

Diese mußten sich ab und zu da unten umsehen, denn sie
schrieben die Chronik der Erde. Nur einer machte sich Jahr für Jahr auf
den Weg, das war der Weihnachtsmann. Viel Arbeit hatte er nicht mehr,
denn es gab nur noch sehr wenig Kinder, die an ihn glaubten. Für diese
Kinder machte er sich besondere Mühe, denn sie waren seine Hoffnung
für den Frieden der Erde. Das Christkind konnte den traurigen
Erzählungen des Weihnachtsmannes kaum Glauben schenken, "er war
halt doch schon ein recht alter Mann." Auch die Chronik, welche die
Engel schrieben, erschien ihm nicht wahr. "Diese Engel übertreiben doch
immer wieder, ich will mich selbst überzeugen!"

So kam es, daß das Christkind am Morgen des Weihnachtstages auf der
Erde landete. Es war entsetzt über all die Dinge, die es sich ansehen
mußte: Leute im Geschenke-Kaufrausch - Weihnachtslieder plärren aus
Lautsprechern - angespannte, gehetzte Gesichter - schlichtweg ein
Durcheinander, das es früher nie gegeben hatte. Beim Kommentar einer
jungen Frau horchte das Christkind auf: "Dieses Weihnachtsgetue nervt
mich, hoffentlich ist der Rummel bald vorbei!"

"Das ist es wohl", dachte das Christkind. "Die Leute tun nur noch so, als
ob Weihnachten wäre, das eigentliche Weihnachtsgefühl kennen sie
längst nicht mehr."

Auch abends in den Familien wurde es kaum besser. Schnell - schneIt
in die Kirche. Heute muß man da ja hin, ist doch Weihnachten - rasch
nach haus, das Essen wird sonst kalt - der Teller ist noch nicht leer, schon
quengeln die Kinder. Sie wollen ihre Geschenke, schließlich hat man sie
lange genug neugierig gemacht. Gleich - ist es soweit - JETZT...

Dem Christkind stehen die Tränen in den Augen. So traurig war es lange
nicht gewesen. Es mußte etwas tun, um den Menschen wieder echte
Freude zu schenken. Da kam ihm eine Idee: Es hatte ja noch sein
Weihnachtslicht einstecken! Mit dem tröstete es im Himmel kleine
Engelchen, die von ihrer Wolke gefallen waren, oder spendete Trost für
alle, die traurig waren. Wieso sollte diese Licht auf der Erde nicht auch
seine Wirkung tun? Rasch griff das Christkind in seine Tasche und
streute Weihnachtslicht in jedes Haus. Es vergaß kein einziges.
Auf einmal wurde es überall still. Den Menschen wurde warm ums
Herz. Die Erwachsenen wollten sich zuerst gegen dieses Gefühl wehren,
denn sie kannten es nicht oder hatten es vergessen. Die Kinder aber, sie
nahmen es sofort an. Für sie war es das Schönste, was sie je erlebt hatten.

Die Alten lächelten still. Ja, Weihnachten hatte seinen Zauber wieder, der
im Laufe der Zeit verloren gegangen war.

"So etwas darf nie mehr geschehen" dachte das Christkind und ließ
vorsorglich eine ganze Menge Weihnachtslicht auf der Erde zurück,
bevor es sich wieder auf den Heimweg machte. Dieses besondere Licht
brennt seitdem in jeder Kerze und bringt Frieden und Zuneigung, aber
auch Ruhe und Nachdenklichkeit in die Häuser und Herzen der Menschen.

"Ja ja", brummte der Weihnachtsmann wohlwollend, als er das
Christkind bei seiner Heimkehr empfing. "Du hast den Menschen das
schönste aller Geschenke gemacht - du hast ihnen die Freude gegeben."
Damit wandte er sich um und ging zu seiner Weihnachtswerkstatt